Wiesbaden diskutiert produktive Stadt: Innenstädte neu denken statt nur konsumieren

Wiesbaden diskutiert produktive Stadt: Innenstädte neu denken statt nur konsumieren
Wiesbaden diskutiert produktive Stadt: Innenstädte neu denken statt nur konsumieren | Bild: © Stiftung Stadtmuseum Wiesbaden | Jason Sellers

Bei einer Veranstaltung des Stadtmuseums sam trafen sich am Dienstag, 2. Dezember, Fachleute aus Stadtplanung, Architektur, Forschung, Kultur und der Zivilgesellschaft im Haus der Architekten in Wiesbaden, um das Leitbild der sogenannten produktiven Stadt zu beraten. Die Diskussion widmete sich der Frage, wie Arbeiten, Wohnen und kleinteilige Produktion in städtischen Zentren wieder zusammengeführt werden können und welche Folgen das für die Wiesbadener Innenstadt hätte.

Thema und zentrale Argumente

Die produktive Stadt wird in der Debatte als Gegenmodell zu streng getrennten Nutzungszonen verstanden. Befürworter sehen darin Chancen für kürzere Wege, resilientere Quartiere, größere soziale Durchmischung und Impulse für nachhaltige Stadtentwicklung. Nutzen wie kleinteiliges Handwerk oder urbane Landwirtschaft sollen demnach wieder in zentralen Lagen möglich werden, etwa durch die Öffnung von Erdgeschossen und Innenhöfen sowie durch die kreative Nutzung von Leerständen.

Auf diese Punkte wies Francesca Ferguson von der Berliner Initiative Make_Shift gGmbH hin. Sie verband das Konzept mit konkreten Herausforderungen und nannte drei Krisen, auf die eine produktive Stadt reagieren müsse: den Fachkräftemangel im Handwerk, das Verschwinden kleiner Betriebe aus Innenstädten und die fehlende urbane Nahrungsmittelproduktion. Ferguson empfahl, Leerstände aktiv zu nutzen und mit befristeten Nutzungsvereinbarungen und Pop up Leases Handwerk und Kleingewerbe zurück ins Zentrum zu bringen.

Positionen aus Verwaltung und Planung

Aus kommunaler Sicht bezeichnete Constanze Paffrath, Leiterin des Bereichs Städtebau im Stadtplanungsamt Wiesbaden, das Leitbild der europäischen Stadt als Orientierung: die nachhaltigste Form des städtischen Zusammenlebens. Die zentrale Herausforderung sei, Strategien zu entwickeln, die ein gerechtes und nachhaltiges Zusammenleben für alle Bevölkerungsgruppen ermöglichen.

Philipp Krass von berchtoldkrass space options und Lehrender an der Fachhochschule Rapperswil sagte voraus, dass sich Innenstädte und Randbereiche grundlegend verändern werden. Seiner Ansicht nach verlieren reine Konsumfunktionen an Bedeutung, während Bildung, Kultur und verträgliche Produktion Räume des Austauschs füllen könnten. Gleichzeitig werde es vermehrt zu Mischungen von Wohnen und Arbeiten kommen, was neue Anforderungen an das Wohnumfeld und an Klimaanpassungen stelle.

Torsten Becker vom Vorstand der Architektenkammer Hessen verwies auf die Notwendigkeit vorausschauender Planung. Gute Planung könne politische Ziele vermitteln und Akzeptanz schaffen. Innenstadtentwicklung sei eine Gemeinschaftsaufgabe, die interdisziplinäre Netzwerke voraussetze.

Kontext für Wiesbaden und Ausblick

Der sam DesignDialog, der als gelabeltes Projekt der World Design Capital 2026 Frankfurt RheinMain geführt wird, verstand sich als Plattform für den fachlichen Austausch in Wiesbaden. Die Veranstalter werteten das große Interesse der Besucherinnen und Besucher als Hinweis darauf, dass das Thema weit über planerische Fachfragen hinausreicht und auch einen sozialen und kulturellen Anspruch hat.

Sam Direktorin Sabine Philipp betonte die Rolle des Museums als Ort für Gegenwartsdebatten und kündigte weitere Aktivitäten an. Für 2026 ist geplant, das Erdgeschoss des ehemaligen Sportscheck Gebäudes in der Langgasse 5 bis 9 von Mai bis Ende Oktober als einen Vierten Ort zu nutzen. Dort sollen Projekte der World Design Capital 2026 aus Wiesbaden und Umgebung unter dem Motto Looking forward: Das Morgen gemeinsam gestalten präsentiert werden und die Bürgerinnen und Bürger zum Mitmachen eingeladen werden.

Die Debatte machte deutlich, dass Fragen nach dem Umgang mit Leerständen, nach der Rolle des Handwerks und nach klimafreundlichen Quartieren zentral für die künftige Entwicklung der Wiesbadener Innenstadt bleiben. Diskutiert wurde nicht nur, welche Instrumente die öffentliche Hand einsetzen kann, sondern auch welche Initiativen von privaten Akteuren und zivilgesellschaftlichen Gruppen nötig sind, um die produktive Stadt praktisch umzusetzen.

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